Aigner, Ernest; Brugger, Katharina; Lichtenberger, Hanna; Ranftler, Judith; Schmidt, Andrea E. (2023): Multiple Belastungen: Analyse von Gesundheit, Wohn‐ und Lebensbedingungen von Armut betroffener Familien im Winter 2022/2023. Gesundheit Österreich, Wien.

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Abstract

HINTERGRUND: Der Winter 2022/2023 war für viele Familien mit niedrigem Haushaltseinkommen angesichts der Teuerungen besonders belastend. Dies geht auch mit psychischen Belastungen aufgrund von Kälte im Wohnraum – etwa aufgrund von Energiearmut – einher. Diese Studie legt den Fokus auf Eltern und deren Kindern zwischen 0 und 10 Jahren. In Österreich sind 368.000 Kinder und Jugendliche von Armut und Ausgrenzung bedroht, was mehr als jedem fünften Kind entspricht. Wie umfassend bekannt, gefährden Armut und Ausgrenzung die Gesundheit und verstärken gesundheitliche Ungleichheit.
Weniger oft thematisiert wurde bisher, dass – auch in Industrienationen wie Österreich – Klima‐ und Umweltfaktoren ebenfalls stark auf soziale Ungleichheit, soziale Teilhabe und Gesundheit wirken können und dadurch auch entsprechender Handlungsspielraum für die intersektorale Zusammenarbeit zwischen Sozialpolitik, Gesundheitspolitik und Klimapolitik gegeben ist. Vor diesem Hintergrund adressiert der vorliegende Bericht die folgende Frage: Worin bestehen im aktuellen Kontext multipler Belastungen psychische, körperliche und soziale Herausforderun-gen von Armut betroffener Kinder, Jugendlicher und ihrer Familien in Bezug auf Kälte im eigenen Wohnraum und auf Schutz davor im öffentlichen Raum? Daraus werden in weiterer Folge erste Ableitungen für potenzielle Synergien bezüglich gesundheits‐, klima‐ und sozialpolitischen Handelns getroffen. *** METHODE: Um die Situation von Armut betroffener Kinder und Jugendlicher besser einschätzen zu können, wurde eine quantitative, nichtrepräsentative Telefonbefragung bei von Armut betroffenen Eltern (N = 103) durch Fachkräfte der Sozialen Arbeit durchgeführt. Die befragten Familien waren Teil des Projekts „Existenzsicherung für armutsbetroffene und armutsgefährdete Kinder und Jugendliche in der Pandemie“ der Volkshilfe Österreich, wodurch sie teilweise schon mit den Fachkräften vertraut waren. Jedes Gespräch dauerte pro Familie zwischen 15 und 30 Minuten. Es wurde ein speziell auf von Armut betroffene Familien abgestimmter Fragebogen entwickelt, der folgende Abschnitte (40 Fragen) umfasst: Wohnraum und Heizung, mangelnder Schutz vor Kälte im Wohnraum, Kälte und Kinder, (Verbesserungs‐)Bedarf im Wohnraum, öffentliche Orte zum Schutz vor Kälte, (Verbesserungs‐)Bedarf im öffentlichen Raum, Wahrneh-mung von Belastungen. *** ERGEBNISSE: Eine besondere Herausforderung für die Familien stellen die steigenden Heizkosten dar. So gibt mehr als die Hälfte der Befragten an, aufgrund eines Mangels an finanziellen Mitteln ihre Kinder nur eingeschränkt vor Kälte in der Wohnung schützen zu können. Obwohl die Heizkosten eine besondere Herausforderung darstellen, geben 56,3 Prozent der befragten Eltern an, die Wohnung mehr zu heizen, wenn ihren Kindern kalt in der Wohnung ist. Häufige Strategien, um mit Kälte in der Wohnung umzugehen, bestehen darin, den Kindern zusätzliche Kleidung anzuziehen oder ihnen warme Getränke zu geben. Oft gelingt es nicht, die Heizkosten in einem Rahmen zu halten, der gewährleisten würde, dass nicht in weiterer Folge anderswo eingespart werden müsste. 58,3 Prozent der Eltern gaben an, dass sie andere Bedürfnisse ihrer Kinder aufgrund der steigenden Heizkosten einschränken würden, etwa Freizeitaktivitä-ten, Gewand oder Essen und soziale Kontakte. Zugleich waren Sorgen um ihre Kinder aufgrund von Kälte nur ein kleiner Teilbereich der belastenden Entwicklungen zum Zeitpunkt der Befragung. Teuerung in Verbindung mit Kälte belastete die Eltern in einer ohnehin allgemein sehr belastenden Situation zusätzlich mit der Sorge, ihre Kinder nur ungenügend vor Kälte schützen zu können. 32 Prozent der Eltern fühlten sich sehr stark und 18,4 Prozent stark belastet, etwa durch steigende Kosten für Essen, Fortbewegung und die Schule. Der öffentliche Raum wurde von nur einem Viertel der Haushalte (25,2 %) genutzt, um die Kinder besser vor Kälte zu schützen. Als Grund, wieso dies in ihrem Fall unterblieben war, gaben die restlichen Familien in erster Linie teure Eintrittspreise an. *** DISKUSSION: Die Ergebnisse der Studie weisen auf umfassende gesundheitliche, physische und psychische Herausforderungen von Armut betroffener Kinder und ihrer Familien infolge der steigenden Energiepreise im Winter 2022/2023 hin. Weiters verweisen die Ergebnisse auf die Saisonalität sozialer Teilhabe von Menschen mit niedrigem Einkommen und insbesondere von Armut betroffenen Kindern und Jugendlichen, die sich aus dem Zusammenwirken von Klima, Energie-verbrauch, Armut und öffentlichem Raum ergibt. Daraus folgen auch Rückschlüsse auf mögliche regulatorische Ansatzpunkte und sozialpolitische Maßnahmen, um die negativen Auswirkungen steigender Energiekosten auf von Armut betroffene Haushalte zu reduzieren. Dazu zählen die Aufrechterhaltung bzw. Expansion sozialer Infrastruktur mit Blick auf Innenräume (kostenfrei Spielräume, Erhalt von öffentlichen Hallenbädern und leistbaren Indoor‐Sportmöglichkeiten, Nachbarschaftszentren etc.) für die kälteren Monate. Wie zahlreiche Studien zeigen, hat Sozialpolitik mittels staatlicher Transferleistungen und der Schaffung öffentlicher Infrastruk-turmaßnahmen Wirkpotenzial zur Reduktion von Armutsgefährdung (Statistik Austria 2022), etwa indem dadurch Kosten für ein Kind leichter gedeckt werden können und insbesondere Familien mit einem niedrigen Haushaltseinkommen unterstützt werden. Die Studienergebnisse legen zudem nahe, dass klimapolitische Instrumente sowie Instrumente der Wohnpolitik ebenfalls das Potenzial haben, soziale und gesundheitliche Ungleichheit zu reduzieren.

Item Type: Monograph (Project Report)
Subjects: OEBIG > KoKuG - Abteilung Klimaresilienz und One Health
Date Deposited: 02 Apr 2023 19:17
Last Modified: 12 Feb 2024 13:17
URI: https://jasmin.goeg.at/id/eprint/2769