Uhl, Alfred (2023): Suchtarbeit im Spannungsfeld zwischen Paternalismus und Förderung von Emanzipation. 23. Interdisziplinärer Kongress für Suchtmedizin, 30. Juni 2023, München.

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Abstract

HINTERGRUND: Häufig wird gefordert, dass Maßnahmen im Bereich der Suchtpolitik, prävention und behandlung evidenzbasiert sein sollen. Diese Forderungen suggerieren fälschlich, dass die Entscheidung für bestimmte politische Maßnahmen alleine aus wissenschaftlichen Erkenntnissen ableitbar sei und verschleiern so, dass solchen Entscheidungen immer auch eine wichtige ethische Komponente zugrunde liegt, die sich aus dem Menschen-, Gesellschafts- und Weltbild der Entscheidungsträger ableitet. ***ZIEL: Ziel des Vortrages ist es implizite Zielkonflikte, die oft entweder unreflektiert ignoriert oder wissentlich negiert werden, explizit zu machen und zu erörtern. ***METHODE: Ich habe mich seit vielen Jahren systematisch mit dieser Thematik auseinander gesetzt und präsentiere eine kurze Zusammenschau aus einigen meiner einschlägigen Publikationen zum Thema. ***RESULTATE: Beim Umgang mit Substanzkonsum und -abhängigkeit gibt es zwei diametrale Extrempositionen – und dazwischen natürlich auch eine Reihe von Zwischenpositionen. Auf der einen Seite steht ein akzeptanzorientierter Schadensminimierungsansatz, der Individuen einräumt ihr Leben weitgehend frei zu gestalten und bewusst Risiken auf sich zu nehmen. Auf der anderen Seite steht ein paternalistischer Zugang, der aus einer Public Health Perspektive darauf abzielt, erwünschtes Verhalten durch Verbote, Sanktionen und Dämonisierung zu verwirklichen. Das Ziel beider Ansätze, nämlich eine Verringerung der gesundheitliche Belastung der Bevölkerung, ist bei beiden Positionen identisch – bloß die Methoden zur Zielerreichung unterscheiden sich erheblich. Beide Seiten versuchen ihre Sichtweisen durch das selektive Zitieren von Publikationen und tendenziösen Interpretationen von empirischen Befunden zu popularisieren. In diesem Spannungsfeld ergeben sich für Beteiligte oft erhebliche Zielkonflikte, was abrissartig aufgezeigt werden wird. Zu beachten ist auch, dass es in den Bereichen „Umgang mit illegalisierten Drogen“, „Umgang mit Alkohol“, „Umgang mit Tabak“ und „Umgang mit stoffungebundenen Süchten“ erheblich abweichende Mehrheitsmeinungen zu diesen Positionen gibt, was bei substanz- und suchtübergreifenden Fachdiskursen immer wieder zu Unverständnis und emotional ausgetragenen Konflikten führt. ***SCHLUSSFOLGERUNGEN: Da ungelöste Zielkonflikte sinnvolles und zielgerichtetes Handeln erheblich erschweren, erscheint es zweckmäßig diese Konflikte explizit zu machen, dazu rationale Diskurse einzuleiten und wo das möglich ist, tragbare Kompromisse anzustreben. Erfolgsversprechend ist das allerdings nur, wenn es gelingt bei den Beteiligten zwei populäre Überzeugungen zu erschüttern – nämlich (1) den Mythos, dass sich richtiges Handeln alleine aus der Empirie ableiten lasse und (2) den Mythos, dass sich die Effekte der meisten Maßnahmen, relativ rasch und eindeutig objektivieren lassen.

Item Type: Conference or Workshop Item (Lecture)
Subjects: OEBIG > Kompetenzzentrum Sucht
Date Deposited: 12 Mar 2024 07:31
Last Modified: 12 Mar 2024 07:31
URI: https://jasmin.goeg.at/id/eprint/3600