Busch, Martin; Uhl, Alfred (2022): COVID 19 und Sucht – Was haben wir aus der Pandemie gelernt? 24. Substitutions-Forum der Plattform für Drogentherapie, 15. Mai 2022, Mondsee.

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Abstract

Die Covid-19 Pandemie führte ganz besonders während der Lock-Downs, aber auch in Phasen zwischen den Lockdowns zu einer Reduktion des Kontaktverhaltens und es stand die Frage im Raum, wieweit sich das auf das Substanzkonsumverhalten der Bevölkerung auswirkt. Einerseits war plausibel, dass durch die Verringerung der Sozialkontakte in der Gastronomie und im Privatbereich der soziale Substanzkonsum abnimmt. Andererseits war damit zu rechnen, dass im Homeoffice und mit mehr Zeit zu Hause infolge von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit der Substanzkonsum zu Hause zunehmen könnte, weil die soziale Kontrolle durch die Arbeitsumgebung wegfällt. Auch COVID-bedingte Probleme können potenziell dazu führen, dass der Substanzkonsum zur Verringerung des Leidensdrucks gesteigert wird.
Auch für das System der Suchthilfe stellte und stellt die Covid-19 Pandemie eine große Herausforderung dar. Insbesondere die Aufrechterhaltung einer adäquaten Versorgung unter Einhaltung der durch die Pandemie bedingten Schutzmaßnahmen musste gewährleistet werden. In manchen Bereichen machte die Pandemie bereits vorher bestehende Schwächen wie unter einer Lupe sichtbarer.
Um sich dieser Frage anzunähern wurde unterschiedliche Datenquellen herangezogen und ausgewertet und einschlägige Aussagen und Publikationen aus einer methodologischen Warte kritisch analysiert. Unter anderem wurden Drogen- und Suchtkoordinationen und Suchthilfeeinrichtungen im Rahmen einer Trendspotteranalyse zu den aktuellen Entwicklungen befragt (Priebe und Busch 2021)
Wie sich die Situation aktuell darstellt, ist durchschnittliche Alkoholkonsums im Jahre 2020 deutlich zurückgegangen, der Zigarettenkonsum hat sich nur wenig verändert und das legale terrestrische Glücksspiel ist deutlich zurückgegangen. Wieweit der Rückgang des legalen terrestrischen Glücksspiels durch legales bzw. illegales Online-Glücksspiel ausgeglichen wurde, kann nur schwer beurteilt werden. Während man die soeben beschriebenen Veränderungen von legalen Konsumgewohnheiten aus offiziellen Wirtschaftsstatistiken ableiten kann, sind Veränderungen im illegalisierten Drogenkonsumverhalten quantitativ kaum verlässlich abzuschätzen. Es scheint aber keine gravierenden Versorgungsengpässe auf den illegalen Märkten gegeben zu haben. In dieser Zeit wurden einige Erhebungen mit willkürlichen Stichproben durchgeführt und die Ergebnisse in einer Art und Weise präsentiert, die als Aussagen über das durchschnittliche Konsumverhalten der Bevölkerung verstanden werden konnten – Schlussfolgerungen, die aufbauend auf willkürlichen Stichproben allerdings methodologisch unzulässig sind. Im Zusammenhang mit der Darstellung von Veränderungen kamen auch noch weitere inhaltlich inadäquate Darstellungen vor und es fielen auch einige grundlegende methodologische Problem im Zusammenhang mit der allgemeinen Covid-19-Berichterstattung auf, die ebenfalls erwähnenswert sind (Uhl, 2021).
Das Suchthilfesystem reagierte rasch auf die pandemiebedingten Veränderungen (Strizek et al., 2020) und die Einstellung von TherapeutInnen zur telefonischen und videotelefonischen Behandlung veränderte sich in dieser Situation rasch in Richtung Akzeptanz dieser Behandlungsformen (Poltrum et al., 2021). Während es noch im ersten Lockdown zu Schließungen bzw. stark eingeschränktem Betrieb von manchen Angeboten der Suchthilfe kam, wurden über die Zeit viele an die neue Situation adaptierte oder neu konzipierte Angebote geschaffen. Insbesondere im Rahmen der Opioidsubstitutionstherapie wurden nach dem Grundsatz „das Rezept wandert, nicht der/die Patient:in“ vor dem Hintergrund persönliche Kontakte zu minimieren, bürokratische Hürden angebaut.
Für das Suchthilfesystem ist eigentlich von untergeordneter Bedeutung, ob es beim Substanzkonsumverhalten bzw. bei anderen Verhaltensweisen mit Suchtpotenzial während der Pandemie zu gewissen Veränderungen nach oben oder unten gekommen ist, auch wenn entsprechende Aussagen immer wieder mit großem Interesse aufgegriffen und diskutiert werden. Relevant ist vielmehr, ob nach dem Abklingen der Pandemie eine verstärkte Nachfrage nach Suchtberatung und -therapie eintreten wird. Da manche Angebote während der Pandemie nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung standen, erscheint es durchaus plausibel, dass dadurch ein relevanter Nachholbedarf entstanden ist. Auch ist naheliegend, dass die Zunahme von psychischen und sozialen Problemen während der Pandemie verstärkt dazu geführt hat, dass Menschen die negativen emotionalen Auswirkungen durch Substanzkonsum und Verhaltens¬weisen mit Suchtpotenzial bekämpft haben. Auch das könnte zu einer stärkeren Belastung des Suchthilfesystems nach Abklingen der Pandemie führen. Allerdings sollte man bedenken, dass die Plausibilität derartiger Überlegungen nicht ausreicht, um belastbare Prognosen über die Zukunft zu formulieren. Die Sorge von manchen Entscheidungsträgern im Suchthilfesystem, dass die enormen Kosten zur Bewältigung der Pandemie zu Einsparungen im Suchthilfebereich führen könnten und dass gleichzeitig die Erfordernisse in diesem Bereich erheblich ansteigen werden, ist gut nachvollziehbar. Wir sollten aber gleichzeitig zur Kenntnis nehmen, dass zum aktuellen Zeitpunkt sowohl alle Prognosen über den zukünftigen Arbeitsaufwand in der Suchthilfe als auch über die zukünftige Allokation von öffentlichen Mitteln für die Suchthilfe nur hochgradig spekulativ beantwortet werden können. Was nach dem Abklingen der Pandemie passieren wird, wird man wohl erst einige Zeit danach zurückblicken seriös beurteilen können.
Wichtig ist es aus den pandemiebedingten Veränderungen der Suchthilfe die entsprechenden Lehren zu ziehen und positive Entwicklungen, wie z. B. vermehrte Möglichkeiten der Onlinetherapie in die Zeit nach der Pandemie mitzunehmen. Es bedarf aber strukturierter Überlegungen und weiterer Forschung wie und in welchem Ausmaß, das geschehen soll.

Item Type: Conference or Workshop Item (Lecture)
Subjects: OEBIG > Kompetenzzentrum Sucht
Date Deposited: 08 Mar 2023 17:45
Last Modified: 08 Mar 2023 17:45
URI: https://jasmin.goeg.at/id/eprint/2558