Rojatz, Daniela; Wahl, Anna (2023): Bevölkerungs‐ und Patientinnen‐ bzw. Patientenbeteiligung im Gesundheitssystem. Ergebnisse einer ersten Erhebung zum Status quo und Entwicklungsperspektiven. Gesundheit Österreich, Wien.

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Abstract

HINTERGRUND: Bürger‐ und Patientenbeteiligung im Gesundheitssystem gilt in Österreich als gering ausgeprägt
und wenig systematisch verankert. In den letzten Jahren wurden mehrere Gutachten zur Frage der Weiterentwicklung von Bürger‐ und Patientenbeteiligung im Gesundheitswesen in Auftrag gegeben, die sich allesamt für die Stärkung von Bürger‐ und Patientenbeteiligung im Gesundheitswesen aussprechen. Im Rahmen der Agenda Gesundheitsförderung, finanziert durch das BMSGPK, wurde das rezenteste Gutachten in Auftrag gegeben, eine Machbarkeitsstudie, die empfiehlt, drei neue Strukturen zu etablieren, eine Kompetenz‐ und Koordinationsstelle Partizipation, ein Überblicksportal in Sachen Partizipationsprozesse und ein Forum zivilgesellschaftlicher Akteure. Da es bislang an einem Überblick über Anwendungsbeispiele von Partizipation im Gesundheitssystem (Gesundheitsförderung, Krankheitsprävention und Gesundheitsversorgung) für Österreich fehlte – einer wichtigen Grundlage für das empfohlene Überblicksportal, aber auch für ein gemeinsames Verständnis von Partizipation und der handelnden Akteure (Auftraggeber, umsetzende Organisationen) –, wurde ein solcher angestrebt. ***METHODEN: Zur Erhebung von Anwendungsbeispielen im Bereich Bürger‐ und Patientenbeteiligung im Gesundheitssystem wurde ab Ende März 2023 eine Fragebogenerhebung durchgeführt. Weil sich im Rahmen des Pretests nicht alle adressierten Personen vom Begriff Gesundheitssystem angesprochen fühlten, wurde der Titel geändert auf „Bevölkerungs‐ und Patientinnen‐ bzw. Patientenbeteiligung in gesundheitsförderung, Krankheitsprävention und Gesundheitsversorgung“ geändert. Die Einladung zur Teilnahme erfolgte über einschlägige Verteiler und Newsletter von Foren sowie über Netzwerke. Ausgewertet wurden die zwischen Ende März und Ende Mai eingemeldeten Anwendungsbeispiele. Erste Auswertungsergebnisse wurden mit den Erhebungsteilnehmerinnen und ‐teilnehmern Ende Juni 2023 in einem Ergebnisworkshop diskutiert und in die Diskussion und Interpretation der Ergebnisse einbezogen. ***ERGEBNISSE: Insgesamt 87 Personen meldeten 146 Anwendungsbeispiele ein, die sich wie folgt charakterisieren lassen: In 86 Prozent der Anwendungsbeispiele werden funktionale Ziele verfolgt, fast annähernd so häufig wurde die Stärkung der Kompetenzen (84 %) als Zielsetzung angegeben, und in 61 Prozent der Beispiele wurden demokratische Ziele verfolgt. Anwendungsbeispiele aus der Praxis machen über die Hälfte (53 %) der erhobenen Anwendungsbeispiele aus. Seltener erfolgt Beteiligung in Strategieentwicklung (31 %) und Forschung (13 %). Drei Prozent der Anwendungsbeispiele lassen sich keinem der Handlungsfelder zuordnen. Die Anwendungsbeispiele lassen sich in der Gesundheitsversorgung (48 %), kommunalen Gesundheitsförderungsprozessen (30 %) und Organisationen (22 %) verorten. Auftraggeber sind insbesondere öffentliche Einrichtungen (auf Bundes‐, Landes‐ und Gemeindeebene). Umsetzungsverantwortliche Organisationen sind insbesondere Vereine (inkl. AKS‐Organisationen) und öffentliche
Einrichtungen auf Bundesebene. Auswahl‐ bzw. Teilnahmekriterien sind insbesondere Alter und Lebenskontexte, hingegen kaum Staatsbürgerschaftsstatus oder Gender. Beteiligung erfolgt am häufigsten in der Planung und der Umsetzungsphase, weniger in den Bereichen Evaluation und Dissemination. 59 Prozent der Anwendungsbeispiele haben Kooperation als höchste Beteiligungsstufe verankert, 38 Prozent Konsultation, drei Prozent Information. Häufig eingesetzte Methoden der Beteiligung sind Workshops (n = 54) und Gremien bzw. Arbeitsgruppen (n = 37), gefolgt von als „forschende“ Methoden kategorisierten Fokusgruppen (n = 29) und Fragebogen (n = 22). Die Erhebungsteilnehmer:innen orteten Unterstützungsbedarf insbesondere in den Bereichen finanzielle Ressourcen (n = 31), Aus‐/Fortbildungsangebote zu Themen und Methoden der Partizipation (n = 17), Überblick über aktuelle Projekte, Prozesse bzw. Akteurinnen und Akteure im Feld der Beteiligung (n = 13) sowie Öffentlichkeitsarbeit (n = 12) und externe Moderation (n = 12). Gefragt sind insbesondere serviceleistungen wie Vernetzung, Weiterbildung und Öffentlichkeitsarbeit, nachrangig auch die Entwicklung von Standards und Grundlagenarbeit. Die Workshopteilnehmer:innen bestätigten diese Ansatzpunkte großteils und heben den Bedarf für Schulungen aller beteiligten Akteurinnen und Akteure sowie für eine bessere Zielgruppenerreichung im Sinne der
Chancengerechtigkeit hervor. ***SCHLUSSFOLGERUNGEN: Für die Weiterentwicklung von Bevölkerungs‐ und Patientenbeteiligung im Gesundheitssystem gilt es die Vielfalt und die Handlungsmöglichkeiten in diesem Feld zu (be)achten, das unterschiedliche Handlungsbereiche, Settings sowie Akteurinnen und Akteure umfasst. Trotz oder gerade wegen der
Vielfalt und der mannigfaltigen Lernmöglichkeiten gilt es einen gemeinsamen Rahmen für Beteiligung zu etablieren. Dies kann durch die partizipative Entwicklung einer Beteiligungsstrategie erfolgen. Konkret könnte dies beispielsweise bedeuten, dass das Überblicksportal alle Beteiligungsprozesse aus dem Gesundheitssystem einschließlich des Bereichs Gesundheitsförderung transparent macht und auch die Tools und Weiterbildungsangebote der vorgeschlagenen Kompetenz‐ und
Koordinationsstelle Beteiligung im Gesundheitssystem für Akteure aus Gesundheitsversorgung und ‐förderung offen sind. Gleichzeitig gilt es den Handlungs‐ und Einflussbereich der Akteure zu berücksichtigen. Die Forcierung systematischer Beteiligung kann aufgrund begrenzter Ressourcen zunächst nur in ausgewählten Bereichen beginnen. Die genaue Vorgehensweise und die konkreten Bereiche im Gesundheitssystem gilt es partizipativ abzustimmen, beispielsweise im Zuge der Entwicklung einer Beteiligungsstrategie und ‐agenda.

Item Type: Monograph (Project Report)
Subjects: OEBIG > Kompetenzzentrum Gesundheitsförderung und Gesundheitssystem
Date Deposited: 12 Dec 2023 10:21
Last Modified: 12 Dec 2023 10:21
URI: https://jasmin.goeg.at/id/eprint/3119