Uhl, Alfred (2023): Zielkonflikte in Suchtforschung, -politik und -behandlung. Substitutionsforum Mondsee, 7. Mai 2023, Mondsee.
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HINTERGRUND: Wenn es darum geht, optimale Strategien für den Umgang mit Sucht in Politik und Behandlung festzulegen, wird oft gefordert, „evidenzbasiert“ zu entscheiden, was fälschlich suggeriert, dass man aus wissenschaftlichen Forschungsergebnissen ableiten könne, welche politischen und therapeutischen Maßnahmen zu treffen seien. Es ist zwar ohne Frage wichtig, die Fakten zu kennen und auf wissenschaftlicher Basis Urteile fällen zu können, wie sich Maßnahmen konkret auswirken werden. Aber dieses Wissen alleine reicht keinesfalls aus, um politische oder therapeutische Entscheidungen zu treffen. Für solche Entscheidungen sind zentrale Werturteile erforderlich, die sich aus einem zugrundeliegenden Menschen-, Gesellschafts- und Weltbild ableiten. ***ZIEL UND METHODE: Ziel dieses Vortrags ist es implizite Zielkonflikte zu beschreiben, die in der Praxis oft ignoriert oder negiert werden. Dabei handelt es sich um eine Zusammenschau aus einigen meiner Publikationen zu diesen Themen. ***RESULTATE: Ein wesentlicher Zielkonflikt ergibt sich daraus, dass Individuen in einer auf Menschenrechte gestützten Demokratie einerseits das Recht haben, ihr Leben frei zu gestalten und auch bewusst Gefahren auf sich zu nehmen, sofern sie durch ihr Verhalten nicht die Rechte anderer erheblich einschränken, und dass es andererseits anerkanntes Ziel der Gesundheits- und Sozialpolitik ist, gesundheitliche und soziale Probleme der Bevölkerung zu minimieren – also das Verhalten der Bevölkerung mehr oder weniger paternalistisch in eine sinnvolle Richtung zu beeinflussen. Ein weiterer Zielkonflikt ergibt sich aus dem Umstand, dass es einerseits Aufgabe der Suchtforschung ist, Probleme im Zusammenhang mit Substanzgebrauch und Sucht offen zu beschreiben, und Aufgabe der Suchtprävention, das Bewusstsein für Gefahren des problematischen und pathologischen Gebrauchs von psychoaktiven Substanzen zu schärfen – also bestimmte Verhaltensweisen zu denormalisieren, was indirekt die Stigmatisierung jener fördert, die sich diesen Zielen nicht unterordnen wollen oder können. Gleichzeitig ist Entstigmatisierung aber ein Ziel, zu dem sich ein Großteil der Suchtforscher:innen, Präventions¬¬fachkräfte und Suchtbehandler:innen bekennen. Pointiert formuliert lautet hier der Auftrag: „Wasch mich, aber mach mich nicht nass!“ Ein weiterer zentraler Konflikt ergibt sich daraus, dass es oft nicht möglich ist, die Effekte von politischen Maßnahmen wissenschaftlich fundiert zu belegen, dass das aber gefordert wird, und Wissenschaftler:innen sich schwer tun das abzulehnen, weil andere Kolleg:innen unlösbare Forschungsaufträge bereitwillig übernehmen. ***SCHLUSSFOLGERUNGEN: Da die angesprochenen Zielkonflikte für die handelnden Personen ernste Problem hervorrufen, gibt es starke Tendenzen, diese zu ignorieren oder zu leugnen. Zielgerichtetes und sinnvolles Handeln erfordert allerdings Realismus; d.h. Bewusstheit über diese Zielkonflikte, Bereitschaft, bei unterschiedlichen ethischen Positionen für alle Seiten akzeptable Kompromisse anzustreben, und eine realistische Sicht dahingehend, was die empirische Wissenschaft zu leisten vermag und was nicht. Das explizite Ansprechen von Zielkonflikte zielt darauf, die Mythen, dass sich richtiges Handeln alleine aus der Empirie ableiten lasse und dass fast alle Wünsche an die Wissenschaft erfüllbar seien, als unhaltbar zu entlarven und einen offenen Diskurs über die dahinterliegenden ethischen Grundlagen zu initiieren.
Item Type: | Conference or Workshop Item (Lecture) |
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Subjects: | OEBIG > Kompetenzzentrum Sucht |
Date Deposited: | 12 Mar 2024 07:33 |
Last Modified: | 12 Mar 2024 07:33 |
URI: | https://jasmin.goeg.at/id/eprint/3605 |